Während die meisten Österreich-Besucher die üblichen Highlights wie Wiener Schloss Schönbrunn, Salzburger Festung oder Hallstatt ansteuern, gibt es abseits der ausgetretenen Pfade eine Fülle versteckter Schätze zu entdecken. In diesem Artikel stellen wir Ihnen zehn außergewöhnliche Orte vor, die selbst vielen Einheimischen unbekannt sind, aber ein authentisches und unvergessliches Österreich-Erlebnis bieten.
1. Das Grüne Band bei Hardegg
An der Grenze zwischen Österreich und Tschechien erstreckt sich das "Grüne Band Europa" – ein ökologisches Wunder, das aus dem ehemaligen Eisernen Vorhang entstanden ist. Während des Kalten Krieges blieb dieser Streifen nahezu unberührt von menschlichen Eingriffen, was zur Entwicklung eines einzigartigen Naturparadieses führte.
Im Nationalpark Thayatal, nahe der kleinsten Stadt Österreichs, Hardegg, können Besucher dieses besondere Ökosystem erkunden. Auf gut markierten Wanderwegen entdecken Sie artenreiche Wälder, die malerisch gewundene Thaya und mit etwas Glück seltene Tierarten wie Schwarzstorch, Uhu oder sogar scheue Wildkatzen.
Die historische Brücke zwischen Hardegg und dem tschechischen Čížov symbolisiert die Überwindung der ehemaligen Teilung Europas und bietet zugleich atemberaubende Aussichten auf die Flusslandschaft.
2. Die versunkene Stadt im Reschenpass
Wenn Sie die Straße über den Reschenpass nach Südtirol nehmen, werden Sie von einem surrealen Anblick überrascht: Aus einem türkisblauen Stausee ragt ein einsamer Kirchturm hervor – das letzte Überbleibsel der versunkenen Ortschaft Alt-Graun.
Als in den 1950er Jahren der Reschensee für ein Wasserkraftwerk aufgestaut wurde, verschwanden mehrere Dörfer in den Fluten. Trotz erbitterten Widerstands der Bewohner mussten 163 Häuser und über 500 Hektar Land dem See weichen. Einzig der mittelalterliche Kirchturm aus dem 14. Jahrhundert wurde als stummer Zeitzeuge stehen gelassen.
Im Winter, wenn der See zufriert, können Besucher sogar bis zum Turm spazieren – ein bewegendes Erlebnis, das zum Nachdenken über die Konsequenzen menschlicher Eingriffe in die Natur anregt.
3. Die Tschaukohlern von Ebensee
Tief im Salzkammergut, in der Gemeinde Ebensee, findet sich ein faszinierendes Beispiel traditioneller Volkskunst, das in keinem Reiseführer auftaucht: die Tschaukohlern. Diese großen, handgeschnitzten Holzmasken sind Teil des lokalen Faschingsbrauchtums und werden von den Einheimischen mit viel Leidenschaft bewahrt.
Die Ursprünge dieses Brauchs liegen im Dunkeln, doch die beeindruckenden Masken mit übertriebenen Gesichtszügen, oft kombiniert mit bunten, skurrilen Kostümen, faszinieren jeden Besucher. Im kleinen, privat geführten Tschaukohlern-Museum können Sie das ganze Jahr über diese einzigartigen Kunstwerke bestaunen.
Wenn Sie Ihre Reise für die Faschingszeit (Januar/Februar) planen, erleben Sie vielleicht sogar den traditionellen Umzug der Tschaukohlern – ein rauschendes Fest mit Musik, Tanz und jeder Menge lokalem Brauchtum.
4. Die Nixenquelle im Johnsbachtal
In der wildromantischen Schlucht des Johnsbachtals, eingebettet in den Gesäuse-Nationalpark in der Steiermark, verbirgt sich ein mystischer Ort: die Nixenquelle. Eine kristallklare Quelle entspringt hier direkt aus dem Fels und hat über Jahrhunderte einen kleinen Teich mit türkisblauem Wasser gebildet.
Lokale Legenden erzählen von Nixen, die hier ihr Unwesen treiben und unvorsichtige Wanderer ins Wasser locken. Die malerische Umgebung mit moosbedeckten Steinen und der umgebende Wald verstärken die geheimnisvolle Atmosphäre.
Der Weg zur Quelle führt durch eine atemberaubende Landschaft enger Schluchten und üppiger Wälder. Die Wanderung ist moderat anspruchsvoll, wird aber mit einem der fotogensten Naturschauspiele Österreichs belohnt.
5. Das Krimml-Tauernhaus – Zeitreise ins Mittelalter
Hoch oben in den Hohen Tauern, auf dem historischen Säumerweg über den Krimmler Tauern, steht eines der ältesten Berghäuser der Alpen. Das Krimml-Tauernhaus diente seit dem Mittelalter als Unterkunft für Reisende und Händler, die zwischen Salzburg und Italien unterwegs waren.
Heute können Wanderer hier nicht nur übernachten, sondern auch in die Geschichte eintauchen. Viele der mittelalterlichen Strukturen sind erhalten geblieben, und die Gastgeber pflegen alte Traditionen. Der Weg zum Tauernhaus führt durch das malerische Krimmler Achental, vorbei an tosenden Wasserfällen und idyllischen Almwiesen.
Ein besonderes Erlebnis ist es, bei einer Tasse selbstgemachtem Schnaps den Geschichten über Schmuggler und Säumer zu lauschen, die einst diese Route nutzten. Da es keine Straße zum Tauernhaus gibt, bleibt es vom Massentourismus verschont und bietet ein authentisches Stück österreichischer Alpengeschichte.
6. Das Stollensystem von Langenstein
Nahe Linz in Oberösterreich befindet sich ein weitgehend unbekanntes Zeugnis der dunklen Seite der österreichischen Geschichte: das Stollensystem von Langenstein. Während des Zweiten Weltkriegs wurden hier von KZ-Häftlingen unter unmenschlichen Bedingungen unterirdische Fabrikhallen für die Rüstungsindustrie in den Fels getrieben.
Heute gibt es geführte Touren durch einen Teil des Stollensystems, die ein bewegendes und wichtiges Stück Zeitgeschichte vermitteln. Anders als viele überlaufene historische Stätten bietet dieser Ort Raum für stille Reflexion und ein tiefes Verständnis der Vergangenheit.
Die Besichtigung kann mit einem Besuch der nahegelegenen KZ-Gedenkstätte Mauthausen kombiniert werden und bietet einen tiefgreifenden Einblick in ein Kapitel der Geschichte, das nie vergessen werden darf.
7. Der vergessene Wüstenturm von Oberpullendorf
Mitten im burgenländischen Oberpullendorf steht ein architektonisches Kuriosum, das völlig aus dem Rahmen fällt: ein Orient-inspirierter Wasserturm, komplett mit Kuppel und Minarett-ähnlichen Elementen, lokal als "Wüstenturm" bekannt.
Erbaut in den 1910er Jahren, als das Burgenland noch zu Ungarn gehörte, spiegelt der Turm das damalige Faible für orientalische Architektur wider. Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung wurde er liebevoll restauriert und kann heute besichtigt werden.
Von der Aussichtsplattform genießen Sie einen weiten Blick über die sanfte Hügellandschaft des Burgenlandes. Das Besondere: Oft sind Sie der einzige Besucher an diesem ungewöhnlichen Baudenkmal, das wie ein Stück Tausendundeine Nacht in der österreichischen Provinz wirkt.
8. Die Hundskirche bei Schönberg am Kamp
In den Weingärten der Wachau, nahe Schönberg am Kamp, verbirgt sich ein prähistorisches Juwel: die sogenannte "Hundskirche". Dabei handelt es sich um eine Felsformation, die bereits in der Jungsteinzeit als Kultstätte diente und mit geheimnisvollen Symbolen und Rinnen versehen wurde.
Archäologen vermuten, dass hier vor rund 7.000 Jahren Opferrituale stattfanden. Die Anlage ist zwar nicht spektakulär groß, aber die Vorstellung, an einem Ort zu stehen, an dem seit Jahrtausenden Menschen ihre Spiritualität lebten, schafft eine besondere Atmosphäre.
Der Besuch lässt sich wunderbar mit einer Weinverkostung in einem der umliegenden Weingüter verbinden, deren Reben möglicherweise auf demselben Boden wachsen, auf dem schon die Steinzeitmenschen ihre Rituale zelebrierten.
9. Das Museumsdorf Kramsach: Friedhof ohne Tote
Im Tiroler Freilichtmuseum Kramsach gibt es eine ungewöhnliche Attraktion: den "Friedhof ohne Tote". Hier wurden kuriose, humorvolle und nachdenklich stimmende historische Grabinschriften aus dem gesamten Alpenraum gesammelt und auf neuen Grabsteinen verewigt – nur ohne Bestattete darunter.
Die Inschriften reichen von unfreiwillig komisch ("Hier ruht meine Frau, nun hab ich Ruh") bis tiefsinnig und bieten einen einzigartigen Einblick in die Volkskultur und den Umgang mit dem Tod in vergangenen Zeiten.
Das gesamte Freilichtmuseum mit seinen historischen Bauernhäusern, Werkstätten und Mühlen ist ohnehin einen Besuch wert und zeigt das traditionelle Leben in Tirol fernab der touristischen Klischees.
10. Die Burg Finstergrün: Übernachten wie im Märchen
Hoch über dem Salzburger Lungau thront die mittelalterlich anmutende Burg Finstergrün. Was viele nicht wissen: Sie ist eigentlich ein romantisierender Nachbau aus dem frühen 20. Jahrhundert, errichtet nach den Fantasien ihres wohlhabenden Erbauers.
Das Besondere: Die Burg funktioniert heute als Jugendherberge und ist damit eine der ungewöhnlichsten Übernachtungsmöglichkeiten Österreichs. In authentisch eingerichteten Turmzimmern mit Himmelbetten, umgeben von Ritterrüstungen und alten Gemälden, fühlt man sich wie in einer anderen Zeit.
Die Aussicht vom Burgturm über die Berge des Lungaus ist atemberaubend, und die abgeschiedene Lage sorgt für eine magische Atmosphäre, besonders in den Abendstunden, wenn der Großteil der Tagesbesucher verschwunden ist.
Praktische Tipps für Entdecker
Die beste Reisezeit
Für viele dieser versteckten Schätze ist die Nebensaison ideal – von April bis Juni oder September bis Oktober. Sie vermeiden die Touristenmassen des Hochsommers und der Wintersportsaison, genießen angenehme Temperaturen und haben oft Orte ganz für sich allein.
Transportmittel
Auch wenn Österreich über ein gutes öffentliches Verkehrsnetz verfügt, sind einige der vorgestellten Orte mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer zu erreichen. Ein Mietwagen bietet hier die größte Flexibilität. Für umweltbewusstere Reisende: Kombination aus Bahn und lokalen Buslinien oder E-Bike-Verleih in vielen Regionen.
Lokale Kontakte
Bringen Sie Zeit mit, um mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Oft kennen die Betreiber kleiner Pensionen oder Cafés weitere versteckte Perlen, die in keinem Reiseführer stehen. Die österreichische Gastfreundschaft macht es leicht, solche Insider-Tipps zu bekommen.
Respektvolles Reisen
Viele dieser Orte sind gerade deshalb besonders, weil sie nicht überlaufen sind. Respektieren Sie die lokale Umgebung, Traditionen und Privatsphäre. Nehmen Sie Ihren Müll mit, halten Sie sich an gekennzeichnete Wege und unterstützen Sie lokale Betriebe.
Fazit
Österreich ist weitaus mehr als Wien, Salzburg und die berühmten Skiorte. Wer den Mut hat, abseits der ausgetretenen Pfade zu wandeln, wird mit authentischen Erlebnissen und unberührten Landschaften belohnt, die das wahre Wesen dieses vielseitigen Landes offenbaren.
Diese zehn Geheimtipps sind nur ein kleiner Ausschnitt der versteckten Schätze Österreichs. Sie zeigen, dass hinter den Postkartenmotiven ein Land voller Überraschungen, Geschichte und natürlicher Schönheit wartet – bereit, von neugierigen Reisenden entdeckt zu werden.
"Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu suchen, sondern mit neuen Augen zu sehen."
- Marcel Proust